14.12.2013

Was mir geholfen hat...

...will ich mal in diesem Kapitel für andere Betroffene niederschreiben.

Ich wurde oft gefragt: "Wie hält man das eigentlich so lange durch?" - Keine Ahnung, bei manchen Zuständen war es eher eine Frage des Überlebens. Klingt "dramatisierend", wenn man aber schon ein paarmal von Todesangst überschwemmt zuckend und frierend im Bett liegt und nur das Herz hämmern hört, wird einem klar, dass man diese Erlebnisse nicht wirklich in Worte fassen kann.
Mit diesem Stichwort komme ich also zu meinen "Survival-Tips" ;), die ich mir selbst im Laufe der Zeit zurechtgelegt habe: 

1) Der wichtigste Punkt zuallererst: Sei gut zu Dir!
Das ist so wichtig, weil es so einfach klingt und so schwierig sein kann.
Schon die Absage eines Spieleabends (weil man an dem Tag vielleicht gerade heftige Panikattacken hatte o.ä.) kann einem Gewissensbisse bereiten, aber wenn es nicht geht, geht es nicht! Du hast Dir diese Störung nicht ausgesucht. Wenn andere das nicht verstehen und Dir trotz Deiner Bitte um Nachsicht einen Vorwurf daraus stricken, ist das sehr traurig. Viele Menschen können nicht nachvollziehen, dass Du mit zum Teil unüberwindbaren Lähmungs- / Erstarrungs- und Angstzuständen zu kämpfen hast.
Sei stolz auf Dich, wenn Du zum Beispiel eine lange Bahnfahrt "überstanden" hast oder auch einfach nur den Gang zum Bäcker. Belohne Dich mit einer schönen Kleinigkeit. Gönne Dir einen guten Film (möglichst lustig ;), wenn ein Tag besonders schlimm war. Sorge für Deine Grundbedürfnisse ("Trocken, warm, satt, sicher")!
Verurteile Dich nicht auch noch dafür, dass Du im Moment eingeschränkt bist. Du hast es schon schwer genug.
Sei geduldig!
Ich dachte oft, jetzt bin ich "durch", die Angstzustände sind vorbei, aber es kamen immer wieder neue oder sich verändernde drängende, unkontrollierbare Fragmente aus dem Trauma. Am Anfang hat mein Therapeut gemeint, dieser Heilungsprozess kann bis zu zwei Jahre dauern, mittlerweile bin ich im dritten Jahr und ich würde jedem Betroffenen nach meiner Erfahrung lieber ehrlich sagen: Richte Dich auf fünf Jahre ein. 

2) Schütze Dich, auch wenn es für andere "überempfindlich" aussehen mag.
Es wird vielleicht Menschen aus Deinem Umfeld geben, die meinen, dass das alles doch schneller "weggehen sollte", dass Du "einfach mal wieder arbeiten solltest", dass "Du übertreibst", einfach "zuviel nachdenkst" und Deine Gefühle und das, was Du durchmachst, relativieren. Es kann Dir auch passieren, dass Dir von einigen Familienmitgliedern ein großes Maß an Abwehr entgegenschlägt, weil "nicht gewesen sein kann, was nicht sein darf." Das macht es zusätzlich schwierig zu ertragen, wenn man fragmentarisch noch einmal die Opferrolle durchlebt und davor die Augen verschlossen werden. Grenze Dich ab, so gut es eben geht und ohne Deine engsten Freunde vor den Kopf zu stoßen. Schütze Dich vor Allem vor Menschen, die sich aggressiv und grenzüberschreitend verhalten. Und die Leute, die meinen, sie wüssten sowieso besser Bescheid als Du (weil sie ja mal irgendwas über Trauma gelesen haben und Dir jetzt ihre Laienexpertise überstülpen wollen) können Dir egal sein. Zudem wird mittlerweile der Begriff "Trauma" schon für Niederlagen der Lieblingsmannschaft missbraucht und damit das Leid der wirklich Erkrankten auch hinsichtlich der Bedeutung relativiert.
Dieser "Gegenwind durch andere Menschen", wie Hengameh Yaghoobifarah das so treffend in einem Artikel in der Zeit bezeichnete, macht einige Situationen tatsächlich manchmal noch schwieriger, als sie ohnehin schon sind.
Einige Deiner "Schutzhaltungen" sind vielleicht auch nur vorübergehend und manche brauchst Du in ein, zwei Jahren auch nicht mehr. Nicht jeder kann alles an dieser Störung nachvollziehen oder verstehen (nicht umsonst heißt es auch "der Sturz aus der Normalität"), das ist ok. Dass viele nicht mit extremer Angst und Hilflosigkeit klarkommen, ist auch ok. Aber was Du erwarten kannst von Deinen Freunden, ist eine Form des Respekts und die Akzeptanz, dass Du nicht immer so kannst, wie Du willst! Du hast eine schwere seelische Verwundung erlebt, Dein Selbst- und Weltbild ist erschüttert worden! Es braucht sehr viel Zeit, bis diese Wunde wieder heilt.

3) Du bist nicht gestört, "das Trauma stört."
Was ich damit sagen will: Es gibt einen gesunden Pol in Dir, der massiv von diesen sich aufdrängenden Gedanken, Gefühlen, Bildern und Ängsten gestört wird. Du "verbeißt" Dich nicht bewusst in ein Thema, die Gedanken und Gefühle kommen von alleine. Und die "beißen" so lange, bis sie sich abreagiert haben. Du kannst diese Gefühle nicht einfach abstellen, Du musst Dich damit auseinandersetzen, was da so um Aufmerksamkeit schreit.
Vielleicht schreibst Du ein Testament, weil die Todesängste immer wieder drängen.
Oder Du beschäftigst Dich wegen der Vergiftungsängste verstärkt mit Ökologie... Sei kreativ!
Die drängenden Gedanken gehen nach einer gefühlten halben Ewigkeit wieder vorbei und dann kommt das nächste Thema. Manche brauchen nach einiger Zeit "einen erneuten Durchlauf". Auch jetzt, nach über drei Jahren denke ich oft noch: mein Gott, ist doch langsam mal gut, wieviel kommt denn da noch? Aber diese Anteile sind wie kleine Kinder, die so lange schreien, bis es gut ist und sie sich sicher fühlen. Deswegen kannst Du sie auch nur "an die Hand nehmen", obwohl Du schon längst weißt, dass keine Gefahr mehr droht. Ich weiß auch schon lange, dass ich keine Angst vor bestimmten Situationen haben müsste, aber diese unverarbeiteten Anteile von früher wissen es immer noch nicht.

4) Ernähre Dich ausgeglichen, magnesium- und vitaminreich!
Dein Körper muss massiven täglichen Stress bewältigen, hilf ihm dabei.
Verzichte auf Alkohol bzw. trinke nur wenig! Ich habe ein Jahr lang gar keinen Alkohol getrunken, weil ich es nicht vermisst habe und die Verlockung einfach zu groß ist, Stress und Angst damit zu betäuben.
Keine Benzodiazepine! Sie helfen kurzfristig vielleicht, aber halten langfristig den Heilungsprozess auf und machen süchtig. Es ist schwer zu akzeptieren, dass diese Intrusionen die Bruchstücke des Traumas sind, die nach Heilung streben und deswegen ins Bewusstsein drängen, aber dieser Verlockung, sie "wegzudrücken", sollte man nicht erliegen.
Trinke viel! Mindestens drei Liter am Tag.

5) Sei achtsam!
Das meine ich in vielerlei Hinsicht. Mir hat es sehr geholfen, jeden Tag eine Art Meditation einzubauen. Also für 10-20 Minuten einen warmen, bequemen Ort aufsuchen, sich hinlegen oder bequem sitzen, die Augen schließen und kurz den Körper, den Geist und die Gefühle "durchchecken": Was war heute an Angstzuständen da? Was haben sie ausgedrückt? Waren sie sehr schlimm? Haben sie sich verändert? Gab es eine Verbesserung? Was macht der Körper? Wo tut´s weh? Was braucht er? Wo sind Muskeln verspannt? Was macht der Geist? Was habe ich Neues dazugelernt? Was interessiert mich? Was möchte ich wissen?
Eventuell zusätzlich Dehnübungen einbauen. Musik hören, die Du brauchst. Ich sage das deswegen, weil viele nur "typische" Entspannungsmusik empfehlen. Es kann aber sein, dass Du völlig aufgewühlt bist und erstmal eine Runde Death Metal Dir besser hilft, runterzukommen. ;)
Achtsamkeit hat mir auch während der Zustände geholfen. Oft wird man von Angst überflutet, die körperlichen Symptome sind heftig und alles versinkt in Panik, weil der Körper im Fluchtmodus ist.
Dabei genau hinzuschauen, sich "zu erden", die Angst genau anzuschauen und zu beschreiben, erfordert einige Übung, aber es lohnt sich. Also, schau Dir die Angst genau an und beschreibe sie: "Ich habe wahnsinnige Angst, hier tot umzufallen, ich bekomme kaum Luft und es ist alles furchtbar und entsetzlich. Aber es wird gleich wieder vorbeigehen." Mir hat es auch geholfen, immer einen kleinen Spiegel dabei zu haben, um mich zu stabilisieren, weil oft Bilder auftauchen, in denen ich blau anlaufe und sterbe. So kann ich im Spiegel sehen, dass ich eine rosige Hautfarbe habe. Wichtig ist auch auf die Körperhaltung zu achten: Schultern bewusst entspannen, tief ausatmen und stabil stehen.
Bei sehr starken Zuständen, die bei mir immer wieder mal schubweise auftreten, hilft mir der schnelle "Bodycheck": a) Aussehen: rosige Hände und / oder Gesichtsfarbe -> ok!  b) Puls: schnell, kräftig und rhythmisch) -> bis 160 bpm ok!  c) Atmung: tief ein- und ausatmen möglich -> ok!
Fokussiere Dich auf das Hier & Jetzt!
Die Zustände gaukeln Dir immer die nahende Katastrophe vor... Krankheit, Tod, Verletzung usw. Versuche, Dich auch schon in den Zuständen auf das zu konzentrieren, was im Jetzt wirklich ist. Bist Du wirklich krank? Droht wirklich der Untergang? Trainiere die Fokussierung täglich!
Und zu guter Letzt: Sei achtsam und dankbar für jede hilfreiche Geste, für jeden schönen Moment der Ruhe, für Sonnenschein, ein gutes Essen, die Musik und die Liebe.

6) Such Dir eine Aufgabe, die mit Dir wächst.
Kauf Dir eine Katze oder richte Dir eine Ecke mit Pflanzen ein oder fang an, über Deine Erfahrungen zu schreiben ;)
Es geht darum, zu verstehen, dass es ein Prozess ist mit sehr, sehr vielen kleinen Schritten, die andere nicht sehen. Aber Du kannst sie spüren und würdigen. Und mir hat es geholfen, Begleiter zu haben, die mit mir wachsen und um die ich mich kümmere. Bei mir sind es die Pflanzen (am Anfang ein kleiner, billiger IKEA-Bambus, der jetzt fast zwei Meter groß ist), die Fotografie und das Schreiben. Daran kann ich meine eigenen Schritte manchmal besser wahrnehmen. Und indem man sich um andere(s) kümmert, hilft man auch sich selbst.
Du hast einen sehr langen Weg vor Dir! Und manchmal erscheint er unendlich. Einige Leute fliegen ans andere Ende der Welt, um zu sich selbst zu finden. Du kannst Dir das Geld sparen ;)

7) Sei offen!
Ein zwiespältiges Thema, mit dem ich sehr lange Schwierigkeiten hatte, weil ich einfach keine richtige Sprache dafür gefunden habe, was da alles in mir vorgeht. Und weil es einen täglich beschäftigt, kann es andere Menschen auch einfach irgendwann nerven. Trotzdem halte ich einige Punkte für sehr wichtig, die es gilt, offen zu vermitteln:
a) Sage klipp und klar, dass Du oft nicht so kannst, wie Du willst. Verspätungen, kurzfristige Absagen, Weinkrämpfe sind ab jetzt inklusive. Deine Seele sitzt manchmal im Rollstuhl. Punkt.
Mir ist bewusst, dass auch das soziale Umfeld unter diesen "Störungen im Betriebsablauf" leidet, dennoch war diese "Anspruchshaltung", die einige Leute an mich herangetragen haben, oft sehr verletzend und schwer zu ertragen. So nach dem Motto: "Ist ja schön und gut, dass Du gerade krank bist, aber ich möchte trotzdem, dass Du normal und zuverlässig funktionierst..." Das typische Problem der Unsichtbarkeit seelischen Leids.
b) Zumindest den Menschen, die Dir nahe stehen und wichtig sind, solltest Du offen vermitteln, warum Du manche Sachen nicht machen kannst. Also zum Beispiel, dass Du gerade nicht den Kaffee trinken kannst, weil jemand Dir gesagt hat, dass das Wasser aus Bleirohren kommt und sich plötzlich lähmendes Entsetzen und Angst vor einer Schwermetallvergiftung in Dir ausbreitet. Andere um Dich herum können ihn vielleicht sorglos trinken und wundern sich, warum Du ablehnst. Aber Du kannst halt gerade nicht. Ich habe mich auch oft dafür geschämt, so extreme Angst vor manchen Dingen zu haben, aber es tut gut, sich den Menschen, die einem nahestehen, zu öffnen. Du vermeidest damit, dass sie Deine Handlungen falsch interpretieren.
So sehr auch manche Gedanken und Ängste in Dein Bewusstsein drängen und dort hämmern, bis sie keine Kraft mehr haben: Überschwemm Deine Umwelt nicht damit. Jedem ist absolute Hilflosigkeit und Angst unangenehm. Versuche, sparsam zu vermitteln, was gerade in Dir vorgeht.
c) Bei einem Bewerbungsgespräch bzw. auf der Arbeit würde ich nicht allzu offen damit umgehen, weil es Dich unberechenbar macht. Die Störung ist nunmal relativ chaotisch und es war für mich mit der schwierigste Prozess zu akzeptieren, dass ich mich nicht auf mich selbst verlassen kann was z.B. Konzentration, Pünktlichkeit und Motivation angeht. Auf der anderen Seite merken aufmerksame Beobachter sowieso, dass Du ab und zu "weggetreten" bist oder zitterst.
Ich denke, gerade in diesem Bereich musst Du für Dich entscheiden, welchen Weg Du gehst. Ich habe mit dem offenen Umgang auch im Freundeskreis mal schlechte Erfahrungen gemacht, manchmal gute.

8) Bewege Dich!
Die traumatischen Fragmente lösen sich unter Anderem aus dem Körpergedächtnis durch Bewegung. Peter Levine hat diesen Vorgang in seinem Buch "Sprache ohne Worte" ausführlicher beschrieben. Also wenn sich etwas anbahnt und anfängt zu drängen, scheint es auch schneller vorbeizuziehen, wenn man sich bewegt. Ich habe mittlerweile auch die Erfahrung gemacht, dass in bestimmten Haltungen einige Bilder und Zustände auftauchen und dass man diese durch eine "Gegenbewegung" dämpfen oder sogar beenden kann. Meiner Erfahrung nach ist die Kombination aus Radfahren (oder Laufen) und Yoga am Besten. Die traumatische Reaktion "steckt fest" und der Anstieg der Herzfrequenz sowie die Dehnung der Muskeln scheint diese traumatischen Fragmente anzutriggern und mit dem tiefen, bewussten Atmen kann man die Beruhigung und Fokussierung üben. Allerdings werden bei mir diese Angstzustände erst jetzt - nach über zwei Jahren - langsam "beherrschbarer".

9) Erwarte kein absolutes Verständnis!
Niemand wird nachvollziehen können,
dass Du unter der Dusche Erstickungsängste hast,
dass Du entsetzliche Angst vor Batterien oder Schuhen hast,
dass Du bei eigentlich schönen Erlebnissen plötzlich anfängst zu weinen,
dass Du es zweitweise nicht schaffst, Deine Wohnung zu verlassen oder pünktlich zu sein,
dass Dir Dein Körper in bestimmten Situationen einfach nicht gehorchen will,
dass die Angstthemen sich abwechseln,
dass der Prozess der Heilung so lange dauert,
dass es mit 20 Stunden Therapie, Klinikaufenthalt und Medikamenten nicht einfach "abgehakt" ist...
...und vieles mehr.
Du bist aus der Normalität gestürzt, alles Selbstverständliche ist ins Wanken geraten.
Bleibe bei Dir, nur Du kannst die wechselnden Zustände beobachten und spüren, wie sie sich verändern und abreagieren. Von außen betrachtet sieht es fast immer gleich aus. So als würde nie etwas "vorangehen". Manchmal habe ich mir auch gewünscht, dass andere doch sehen könnten, was für einen täglichen Kampf ich mit diesen Zuständen seit Jahren führe, dass jemand meine Tränen der Verzweiflung und der Einsamkeit wahrnimmt, aber es bleibt nur die Möglichkeit, eine Sprache dafür zu finden.
Es gibt sehr besondere Menschen, die Dich geduldig und liebevoll auf diesem sehr langen Weg begleiten, ohne Dich zu drängeln, ohne alles zu verstehen, aber das Ver-rückte in Dir akzeptieren können... und das sind wahre Freunde. Aber es wird auch Menschen geben, die mit Ungeduld und Unverständnis reagieren und sich abwenden, weil sie den Eindruck haben, Du müsstest Dich einfach mal zusammenreißen (siehe "Hitparade"). Das ist bitter, aber auch so lernt man das Loslassen.

10) Verzweifle nicht an diesen Zuständen!
Diese traumatischen Fragmente sind schon schlimm genug. So schwer es auch ist, verzweifle nicht daran, dass sie kommen und gehen, wann sie wollen, dass sie für eine sehr lange Zeit die Regie über Deine Stimmung übernehmen und dass sie Dein Leben und Erleben stark einschränken. Es ist ein Entladungsprozess der Seele, diese verwundeten Anteile streben zur Heilung und brauchen dafür liebevolle Achtsamkeit. Es ist sehr wichtig, sich das immer wieder bewusst zu machen, sonst kann sich dieser ungünstige Kreislauf aus "Angst vor der Angst" entwickeln, der mich auch oft genug an die untere Grenze meiner Lebensfähigkeit gebracht hat.
Gib den Zuständen die volle Aufmerksamkeit, wenn sie hochkommen! Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sie schneller vorüberziehen / schneller aus dem Körper "herauskommen", wenn man sich zum Beispiel  bewegt oder kurz die Augen schließt, tief durchatmet und versucht, alles, was da kommt, aufsteigen zu lassen. Sozusagen kurz "erden" und erst dann wieder in den Alltag eintauchen. Für diese täglichen, belastenden Unterbrechungen solltest Du Dir diese kleinen Übungen zurechtlegen.
Einige aus Deiner Umwelt werden Dir vielleicht raten, doch endlich mal loszulassen. Aber vor dem Loslassen kommt das Zulassen. Das Trauma lässt Dich erst los, wenn es soweit ist.

11) Sorge für Deinen Schlaf!
Häufige Alpträume, schweißgebadetes Aufwachen, Zähneknirschen, Einschlafstörungen... das nächtliche Angebot ist groß ;) Wenn Du gar nicht schlafen kannst (bei mir war das vor allem einige Wochen bei Ausbruch der Störung so), besorge Dir ein kleines Licht, was nicht zu hell ist. Mir hat da eine Lampe mit Farbwechseln geholfen, weil mir wichtig war, dass der Raum nicht völlig dunkel ist. Lege Dir abends ein paar Kleinigkeiten ans Bett, die Dir bei Angst und Panik in der Nacht helfen. Das kann ein Talisman sein, der MP3-Player mit ruhiger Musik, eine Flasche Wasser, ein Stück Seife, das gut riecht (z.B. Zitronenmelisse) oder Ähnliches. Der Schlafplatz sollte gemütlich sein (warmes Licht, keine Energiesparlampe) und Dir das Gefühl von Sicherheit geben. Mir hat auch das gleichmäßige Ticken einer Armbanduhr geholfen, aber das muss jeder für sich entscheiden.

12) Suche Dir eine Konstante!
Was ich damit meine, ist irgendein tägliches Ritual, woran Du Veränderung / Verbesserung "messen" kannst. Für mich war es die vergangenen Jahre über eine furchtbare Quälerei, gegen Lähmungs-, Erstarrungs-, Erstickungsgefühle etc. anzukämpfen, um die Wohnung zu verlassen (und manchmal musste ich auch nach einer halben Stunde inneren Kampfes erschöpft aufgeben). Aber ich habe es täglich versucht, um irgendwann das "Abebben" dieser Gefühle zu spüren. Zusätzlich ist ja diese Unberechenbarkeit (wechselnde Themen, wechselnde Intensitäten, verschiedene Anteile, Verlauf in Schüben) sehr belastend. An einem Tag ist mir zum Beispiel ein Vorstellungsgespräch noch so leicht gefallen und am nächsten Tag kam wieder so viel Furchtbares hoch, dass für regelmäßiges Arbeiten plötzlich wieder Kraft und Konzentration fehlte. Es ist auch ok, wenn es mal einen Tag nicht geht, weil es zu überwältigend ist, aber es sollte eine regelmäßige Übung sein. Und es wird ein langer Weg ;)

13) Achte auf Deine Zähne!
Ich habe mir durch die wiederkehrenden heftigen Alpträume zwei Zähne zerbissen. Also ich rate Dir aus meinen Erfahrungen zu Beißschiene, Entspannungsübungen und Physiotherapie. Außerdem ist Schokolade in einigen Phasen zu meinem besten Freund und der einzigen gut verträglichen "Droge" geworden ;)

14) Hör Deine Musik! Schreie, weine oder singe dazu!
Scheißegal, was die Nachbarn denken. Es spielt keine Rolle, ob Du singen kannst. Brüll zu Sepulturas "Desperate cry", singe zu Queens "The show must go on", weine zu Pink Floyds "Hey you"! Das, was an Schmerz, Verzweiflung und Angst in Dir steckt, will raus... und vielleicht ist dein Nachbar zufällig Produzent und beeindruckt von Deiner ausdrucksstarken Stimme ;)

15) Täterkontakt: Mit einem Wort: Nein!
Jedenfalls nicht während der laufenden Therapie bzw. des Heilungsprozesses. (Es sei denn, Du willst Sprachlosigkeit, Ohnmacht, etc. immer wieder erleben.)

16) Vergleiche Dich nicht mit anderen! (oder auch: "Warum ich?!?")
Während andere im Biergarten den Sommerabend genießen, liegst Du heulend im Bett, weil Du gerade von quälenden Ängsten und Bildern überschwemmt wurdest? Während sich andere an der Familienplanung vergnügen, versuchst Du seit einer Stunde gegen das Erstarrungsgefühl anzukämpfen, um die Wohnung zu verlassen?

Tja, das Leben ist unfair!
Warum Du? Weil Du stark genug bist.


Ich habe mich oft gefragt, was "bringt" einem diese Störung? Wie kann man davon "profitieren"? Von meiner Seite aus kann ich nur sagen, dass sie am Anfang viel kaputt gemacht hat (Studiumsabbruch, Belastung für Partnerin, Arbeitsunfähigkeit, Vereinsamung...), aber dass ich im Laufe der Zeit die kleinen Dinge des Leben schätzen gelernt habe. Ich entscheide mich klarer als früher, schaue bei Freundschaften genauer hin und sage ohne schlechtes Gewissen öfter mal "Nein". An manchen Tagen kann das Essen eines leckeren Apfels oder ein Moment der Ruhe im Kopf, das "störungsfreie" Lesen eines Kapitels in einem lustigen Buch schon ein echtes Highlight sein.
Und es ist eine sehr weite Reise an die äußersten Grenzen der Belastbarkeit und der Normalität, die ich in den intensivsten Zuständen ohne Übertreibung als Nahtoderfahrung bezeichnen würde.
Ich bin überzeugt davon, dass diese Erlebnisse letztendlich ein (sehr langer) Weg zu Gelassenheit und Weisheit sein können. 

03.11.2013

Hitparade "gutgemeinter" Ratschläge

In der Selbsthilfegruppe kam die Idee auf, die besten "Ratschläge" - mehr oder weniger geduldig von der Umwelt an Menschen mit seelischen Störungen herangetragen - zu sammeln. Ja, sie sind zum Teil wirklich gut gemeint, aber zum Teil dienen sie auch nur dazu, den Ratgebenden zu "entlasten", nach dem Motto "Ich hab´s ihm / ihr ja gesagt. Wenn er / sie es nicht umsetzt, selber schuld!" Anstatt den Hilfsbedürftigen partiell zu entmündigen, wäre erstmal die Frage: "Was brauchst Du denn jetzt?" für viele Betroffene schon sehr erleichternd.

Hier also sind sie (Achtung, Sarkasmuswarnung!): 

Auf Platz 1, immer noch unangefochten: 
"Stell Dich nicht so an!" Gerne auch: "Reiß Dich doch mal zusammen!" (Klar, die Kliniken dieses Landes sind voll mit Leuten, die einfach faul sind und keinen Bock haben, rauszugehen, weil das Schwimmbecken so schön warm und das Essen so lecker ist! Lieber Leser, wie lange steht Dein Altglas schon in der Ecke und wie oft wolltest Du das nicht schon wegbringen? Wie sieht es denn aus mit Deinen guten Vorsätzen, sich doch endlich mal im Fitnessstudio anzumelden? Ist plötzlich alles doch nicht mehr so einfach? ;) Keine Sorge, Du bist nicht alleine.)

Dicht gefolgt von Platz 2: 
"Mach Dir doch nicht so viele Gedanken, dann geht´s Dir besser!" (Es soll ja Menschen geben, die klappen einfach ihr Gehirn auf, gehen zum Sicherungskasten, drücken den grünen und den roten Knopf und schweben dann glückselig davon.) 

Die Bronzemedaille geht an: 
"Das kann doch nicht sein." oder "Das glaub ich Dir nicht." Steigerungsform für Fortgeschrittene: "Du benutzt das als Ausrede / Entschuldigung, um nicht arbeiten zu gehen, usw." (Im Alltag wird die Formulierung, dass das doch nicht sein könne, eigentlich zu 90 % von Mitarbeitern der Serviceabteilung deutscher Elektronikgroßmärkte verwendet, um defekte Geräte nicht zurücknehmen zu müssen. Im Zusammenhang mit seelischen Störungen ist diese Formulierung aber besonders schmerzhaft, weil sie die Wahrnehmung des Gegenübers, der sowieso schon leidet, auch noch als "falsch" darstellt.
Um das Fass noch weiter aufzumachen, sei in diesem Zusammenhang auf das Thema "Gaslighting" hingewiesen, das sicher eine sehr drastische Form von destruktiver Kommunikation darstellt. Diese wird auch in mehr oder weniger drastischer Form von den Eltern traumatisierter Personen angewandt, um eventuelle Schuld und Verantwortung für das auslösende Ereignis erneut auf das Opfer abzuwälzen. "Du hast als Kind ja so wenig eingefordert." / "Du siehst das falsch / kannst Dich doch gar nicht erinnern." Ironischerweise legen sie damit genau das Verhalten an den Tag, welches das Trauma mitverursacht haben könnte und das sie so verzweifelt versuchen abzustreiten.)
Viele Menschen versuchen, möglichst schnell Unangenehmes abzuwehren und zu relativieren, weil sie sich nicht vorstellen können, was man bei einem "Sturz aus der Normalität" alles erlebt.

Nummer 4 der Hitparade: 
"Ängste hat doch jeder. / Niedergeschlagen ist doch jeder mal." (Diese Aussage ist ebenso richtig wie wenig hilfreich. Natürlich ist Angst ein Gefühl, dass wohl jeder mehr oder weniger kennt. Aber genau um "mehr oder weniger" geht es bei seelischen Störungen. Wenn man sich den kleinen Finger verstaucht, kann man noch Shoppen gehen. Mit einem gebrochenen Bein wird das schon schwieriger. Niemand sucht sich seine Störung aus, die Seele spielt einfach manchmal (mehr oder weniger heftig) nach eigenen Regeln.) 




... to be continued. 

16.01.2013

Was ist ein Trauma?

Im Internet existieren viele Definitionen des Begriffes "Trauma" und wie es entsteht, unter anderem hierhier oder hier

Ich möchte an dieser Stelle eine etwas abgeänderte Definition formulieren:

Ein Trauma ist ein Ereignis, was in dem Moment extreme Angst, Hilflosigkeit und Entsetzen auslöst und in seiner Gesamtheit die seelischen Verarbeitungskräfte übersteigt. Dies hat eine schwere Erschütterung der seelischen Integrität  zur Folge.
Um das Bewusstsein vor diesen Eindrücken zu schützen, können sie vom normalen Bewusstseinsstrom "abgespalten"  werden und erstarren unverarbeitet in einer Art Kapsel, die a) bei Situationen, die an das Trauma erinnern, plötzlich "aufplatzen" (Betroffene "drehen durch") oder b) unter günstigen Umständen, die normalerweise als positiv erlebt werden, langsam "aufschmilzen" kann. Bei mir hat es sich langsam angekündigt und wurde innerhalb von einigen Monaten dann immer heftiger.

Diese scheinbar paradoxe Auslösung von traumatischem Erleben (Intrusionen) durch eigentlich positive Ereignisse, wie im letzten Satz dargestellt, ist meines Erachtens einer der zentralen Ansatzpunkte, um ein Verständnis für traumatisierte Menschen zu entwickeln. 
Denn auch die guten Ratschläge (Sport, Sauna usw.) für ein besseres Wohlbefinden, z.B. bei einer depressiven Verstimmung, wirken nur sehr bedingt. Ich habe es eigentlich ausnahmslos so erlebt, dass durch die beiden genannten Aktivitäten Flashbacks getriggert wurden. Man kann sich das so erklären, dass die Seele besonders dann mit dem belastenden Material um sich wirft, wenn man gerade stark genug dafür ist. Nicht umsonst wird ein Trauma auch mit dem "Sturz aus der Normalität" umschrieben. Es gibt also sowohl positive wie auch neutrale oder negative Situationen, die Flashbacks auslösen können. Vieles, was für gesunde Menschen normal ist (z.B. das Haus verlassen, mit Batterien hantieren, das Auto betanken) kann für Menschen mit einer PTBS ein unüberwindliches Hindernis darstellen, weil das Angstlevel unüberwindbar hoch  ist. Für Außenstehende ist das schwer nachvollziehbar (es ist ja "nur etwas Seelisches"), aber es gibt im Rahmen dieser Störung tatsächlich Zustände, die den Körper lähmen und den sogenannten "freien Willen" massiv beeinträchtigen. Also auch die Überforderung der Verarbeitungskräfte wird fragmentarisch wiedererlebt. 

Soweit ich weiß, gibt es Menschen, bei denen diese Kapsel (oft spricht man auch vom Körpergedächtnis) quasi verschlossen ist, sie also gar nicht wissen, dass sie mit einem Trauma leben. Dennoch können die traumatischen Gefühle durch ein Ereignis sehr plötzlich zum Vorschein kommen. Zum Beispiel wenn ein älterer Mensch, der im Zweiten Weltkrieg verschüttet war (dies aber nicht mehr weiß), bei einer MRT-Untersuchung im Krankenhaus durch die Enge und die Geräusche in der Röhre plötzlich panische Angst bekommt und um sich schlägt, weil die Situation dem traumatisierenden Ereignis so ähnlich ist.

Die meisten Menschen verändern sich aber nach dem Trauma, können sich allerdings meist nur bruchstückhaft an das Ereignis erinnern. Soldaten sind nach der Rückkehr aus dem Einsatz plötzlich viel leichter reizbar, schlafen schlecht, berichten von Alpträumen und dass sie "diese Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommen."
Frühkindlich Traumatisierten ist der "Zugriff" auf ein auslösendes Ereignis und die dazugehörigen Bilder zusätzlich durch die infantile Amnesie verwehrt, dennoch wird die unvollendete Angstreaktion / Erstarrung natürlich "im Körper gespeichert."  Hier gibt es bestimmte Verhaltensweisen als Kind und Erwachsener, die Rückschlüsse auf die Art des frühkindlichen Traumas (problematische Schwangerschaft, sexueller Missbrauch und / oder schwere Vernachlässigung) zulassen. 
Diesbezüglich scheint es immer noch Menschen zu geben, die glauben, traumatische Ereignisse im frühkindlichen Alter seien "weniger schlimm" als das, was z.B. Soldaten erlebten bzw. man könne sich doch gar nicht erinnern, also wäre eine Traumatherapie doch nur "Kaffeesatzleserei" usw.
Ich will es mal höflich ausdrücken: Menschen mit dieser Einstellung scheinen nicht zu wissen, dass Säuglinge sehr grundlegende Gefühle von Freude, Angst, Schmerz, Hunger usw. empfinden können und in den ersten Jahren der Aufbau des Urvertrauens erfolgt. Vernachlässigung oder Missbrauch treffen in dieser Phase auf eine viel hilflosere Persönlichkeitsstruktur als z.B. bei einem erwachsenen Soldaten.
Oder hat schon mal jemand einen Säugling gesehen, der sich etwas zu Essen kauft, weil die Eltern gerade ein paar Tage weg sind?

13.01.2013

Symptome III

Folgende Zustände sind bei mir einzeln, sehr plötzlich und in verschiedenen Intensitäten aufgetaucht: 


- Schwindel
- Lähmungsgefühle 
- Übelkeit
- Erstarrung
- Zittern
- Todesangst
- Weinkrämpfe
- Leere
- Resignationsgefühle
- massive Erschöpfung
- Entsetzen
- extreme Hilflosigkeit
- panische Angst davor, verlassen zu werden oder allein zu sein
- Wut
- Herzrasen
- Vergiftungsängste (z.B. in Bezug auf Nahrung, Waschmittel, Gerüche...)
- Gefühl, beschattet oder bedroht zu werden
- starkes Kältegefühl im Körper / Frieren 
- plötzliches Zucken mit blitzartig auftauchenden Bildern
- Gefühl, zusammenzubrechen
- Zittern ("inneres Beben")
- Mißtrauen gegenüber Mitmenschen
- Unfähigkeit zu sprechen
- Sehstörungen (Tunnelblick, Lichtblitze, Schleiersehen)
- völlige Entscheidungsunfähigkeit
- Alpträume
- Schlaflosigkeit
- Taubheitsgefühl (körperlich und emotional)
- "Pelziges" Körpergefühl / Kribbeln / Muskelzucken
- Angst davor, durchzudrehen
- Gefühl, die eigene Identität würde zerbrechen / sich auflösen
- unendliches Verlorenheitsgefühl
- unerträgliche Einsamkeit
- Angst vor Kontrollverlust 
- Erstickungsangst
- Gefühl, plötzlich würde die Seele "schwarz werden"
- extreme Müdigkeit 
- Verzweiflung
- körperliche Schmerzen / Gliederschmerzen 
- Muskelverspannungen
- seelischer Schmerz
- Schweißausbrüche
- Gefühl von extremer Schutzlosigkeit
- Suizidgedanken
- Gefühle von Sinnlosigkeit und Hoffnungslosigkeit
- drängende, quälende Gedanken von Schuld und Scham
- plötzlich auftauchende Bilder (blau anlaufen, erbrechen, zusammenbrechen, sterben, plötzlich hochgerissen werden) 
- "Körperbilder" (z.B. fühlt sich der Körper bei bestimmten Angstzuständen an, als würde man wie ein Säugling mit abgewinkelten Extremitäten auf dem Rücken liegen, dabei habe ich vornübergebeugt auf dem Fahrrad gesessen und bin "normal" gefahren. Häufig sind auch Angstzustände aufgetaucht, in denen ich das Gefühl hatte, der Körper würde in verschiedene Teile zerfallen. Das scheint meines Wissens nach ein sehr typisches Symptom bei frühkindlichen Traumata zu sein.) 

Diese Aufzählung kann je nach Art, Intensität und Lebensphase bei Erleben des Traumas sehr unterschiedlich ausfallen. Bei mir war das auslösende Ereignis ein frühkindliches Trauma mit einem oder mehreren Gewalterlebnissen und anschließender emotionaler Vernachlässigung.

Einige Symptome gehören meines Erachtens nicht zu den Intrusionen, sondern eher zu den "sekundären" Symptomen (dazu mehr in einem anderen Beitrag), deswegen zähle ich sie hier seperat auf:
zwanghafte Rituale (Versuche, die Kontrolle wiederzuerlangen oder die Gedanken "wegzuwaschen")
inneres Chaos
extreme Konzentrationsstörungen
das Gefühl, verrückt zu werden
Hyperarousal
Hypervigilanz
Schlaflosigkeit (meist in den ersten 6-8 Wochen, pro Nacht ungefähr 2-3 Stunden Schlaf)
deutliche Gewichtsabnahme 

Diese Gefühlszustände drücken sich zum Teil sehr stark in "Körperbildern" aus und ich denke, das ist auch einer der Gründe, warum traumatische Zustände körperlich so belastend sind. Es ist schon vorgekommen, dass ich nach einem langen Weinkrampf nur noch zwei Stunden an die Wand gestarrt habe, weil mein Kopf und mein Körper "leer" waren. Es war einfach keine Energie mehr übrig, etwas zu fühlen oder sich zu bewegen.
Eine zusätzliche Schwierigkeit bei der Bewältigung dieser Störung ist die Tatsache, dass immer wieder neue, veränderte Zustände auftauchen, auf die man sich "einstellen" muss. Man könnte auch sagen, es wird einem nie langweilig mit dieser Krankheit.

Für das soziale Umfeld ist es oft schwierig nachzuvollziehen, "warum" der Betroffene plötzlich so panische Angst hat und oft soziale Aktivitäten meidet. Ich habe mich auch oft gefragt, warum ich zum Beispiel in dem CD-Laden, wo so nette Leute arbeiten, immer wieder Angstattacken bekommen habe. Vielleicht hilft dieses Erklärungsmodell: der Erkrankte hat nicht Angst VOR der konkreten Situation, sondern die Ängste tauchen bei unterschiedlichen Gelegenheiten auf, weil irgendein Reiz die "alten", in der Kapsel "eingefrorenen" Angstgefühle aus der vergangenen traumatisierenden (und noch nicht verarbeiteten) Situation triggert. Diese fluten dann plötzlich heraus und können wirklich in jeder erdenklichen Situation (beim Sport, beim Entspannen auf der Couch, während des Einkaufens, beim Sex, während eines Wellnesstages,...) blitzartig auftauchen.
Und der daraus oft resultierende soziale Rückzug ist keine freiwillige (!) Entscheidung des Betroffenen (wie so oft bei seelischen Erkrankungen), sondern eher ein "Wollen-aber-nicht-Können" und ein Zeichen von Hilflosigkeit und Resignation. Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, dass es extrem wichtig ist, diesen Umstand  seinen Freunden / Bekannten zu vermitteln, weil sonst relativ schnell Unverständnis aufkommt, warum man denn nicht zur Party oder zu spät zum gemeinsamen Essen gekommen ist.