16.01.2013

Was ist ein Trauma?

Im Internet existieren viele Definitionen des Begriffes "Trauma" und wie es entsteht, unter anderem hierhier oder hier

Ich möchte an dieser Stelle eine etwas abgeänderte Definition formulieren:

Ein Trauma ist ein Ereignis, was in dem Moment extreme Angst, Hilflosigkeit und Entsetzen auslöst und in seiner Gesamtheit die seelischen Verarbeitungskräfte übersteigt. Dies hat eine schwere Erschütterung der seelischen Integrität  zur Folge.
Um das Bewusstsein vor diesen Eindrücken zu schützen, können sie vom normalen Bewusstseinsstrom "abgespalten"  werden und erstarren unverarbeitet in einer Art Kapsel, die a) bei Situationen, die an das Trauma erinnern, plötzlich "aufplatzen" (Betroffene "drehen durch") oder b) unter günstigen Umständen, die normalerweise als positiv erlebt werden, langsam "aufschmilzen" kann. Bei mir hat es sich langsam angekündigt und wurde innerhalb von einigen Monaten dann immer heftiger.

Diese scheinbar paradoxe Auslösung von traumatischem Erleben (Intrusionen) durch eigentlich positive Ereignisse, wie im letzten Satz dargestellt, ist meines Erachtens einer der zentralen Ansatzpunkte, um ein Verständnis für traumatisierte Menschen zu entwickeln. 
Denn auch die guten Ratschläge (Sport, Sauna usw.) für ein besseres Wohlbefinden, z.B. bei einer depressiven Verstimmung, wirken nur sehr bedingt. Ich habe es eigentlich ausnahmslos so erlebt, dass durch die beiden genannten Aktivitäten Flashbacks getriggert wurden. Man kann sich das so erklären, dass die Seele besonders dann mit dem belastenden Material um sich wirft, wenn man gerade stark genug dafür ist. Nicht umsonst wird ein Trauma auch mit dem "Sturz aus der Normalität" umschrieben. Es gibt also sowohl positive wie auch neutrale oder negative Situationen, die Flashbacks auslösen können. Vieles, was für gesunde Menschen normal ist (z.B. das Haus verlassen, mit Batterien hantieren, das Auto betanken) kann für Menschen mit einer PTBS ein unüberwindliches Hindernis darstellen, weil das Angstlevel unüberwindbar hoch  ist. Für Außenstehende ist das schwer nachvollziehbar (es ist ja "nur etwas Seelisches"), aber es gibt im Rahmen dieser Störung tatsächlich Zustände, die den Körper lähmen und den sogenannten "freien Willen" massiv beeinträchtigen. Also auch die Überforderung der Verarbeitungskräfte wird fragmentarisch wiedererlebt. 

Soweit ich weiß, gibt es Menschen, bei denen diese Kapsel (oft spricht man auch vom Körpergedächtnis) quasi verschlossen ist, sie also gar nicht wissen, dass sie mit einem Trauma leben. Dennoch können die traumatischen Gefühle durch ein Ereignis sehr plötzlich zum Vorschein kommen. Zum Beispiel wenn ein älterer Mensch, der im Zweiten Weltkrieg verschüttet war (dies aber nicht mehr weiß), bei einer MRT-Untersuchung im Krankenhaus durch die Enge und die Geräusche in der Röhre plötzlich panische Angst bekommt und um sich schlägt, weil die Situation dem traumatisierenden Ereignis so ähnlich ist.

Die meisten Menschen verändern sich aber nach dem Trauma, können sich allerdings meist nur bruchstückhaft an das Ereignis erinnern. Soldaten sind nach der Rückkehr aus dem Einsatz plötzlich viel leichter reizbar, schlafen schlecht, berichten von Alpträumen und dass sie "diese Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommen."
Frühkindlich Traumatisierten ist der "Zugriff" auf ein auslösendes Ereignis und die dazugehörigen Bilder zusätzlich durch die infantile Amnesie verwehrt, dennoch wird die unvollendete Angstreaktion / Erstarrung natürlich "im Körper gespeichert."  Hier gibt es bestimmte Verhaltensweisen als Kind und Erwachsener, die Rückschlüsse auf die Art des frühkindlichen Traumas (problematische Schwangerschaft, sexueller Missbrauch und / oder schwere Vernachlässigung) zulassen. 
Diesbezüglich scheint es immer noch Menschen zu geben, die glauben, traumatische Ereignisse im frühkindlichen Alter seien "weniger schlimm" als das, was z.B. Soldaten erlebten bzw. man könne sich doch gar nicht erinnern, also wäre eine Traumatherapie doch nur "Kaffeesatzleserei" usw.
Ich will es mal höflich ausdrücken: Menschen mit dieser Einstellung scheinen nicht zu wissen, dass Säuglinge sehr grundlegende Gefühle von Freude, Angst, Schmerz, Hunger usw. empfinden können und in den ersten Jahren der Aufbau des Urvertrauens erfolgt. Vernachlässigung oder Missbrauch treffen in dieser Phase auf eine viel hilflosere Persönlichkeitsstruktur als z.B. bei einem erwachsenen Soldaten.
Oder hat schon mal jemand einen Säugling gesehen, der sich etwas zu Essen kauft, weil die Eltern gerade ein paar Tage weg sind?

13.01.2013

Symptome III

Folgende Zustände sind bei mir einzeln, sehr plötzlich und in verschiedenen Intensitäten aufgetaucht: 


- Schwindel
- Lähmungsgefühle 
- Übelkeit
- Erstarrung
- Zittern
- Todesangst
- Weinkrämpfe
- Leere
- Resignationsgefühle
- massive Erschöpfung
- Entsetzen
- extreme Hilflosigkeit
- panische Angst davor, verlassen zu werden oder allein zu sein
- Wut
- Herzrasen
- Vergiftungsängste (z.B. in Bezug auf Nahrung, Waschmittel, Gerüche...)
- Gefühl, beschattet oder bedroht zu werden
- starkes Kältegefühl im Körper / Frieren 
- plötzliches Zucken mit blitzartig auftauchenden Bildern
- Gefühl, zusammenzubrechen
- Zittern ("inneres Beben")
- Mißtrauen gegenüber Mitmenschen
- Unfähigkeit zu sprechen
- Sehstörungen (Tunnelblick, Lichtblitze, Schleiersehen)
- völlige Entscheidungsunfähigkeit
- Alpträume
- Schlaflosigkeit
- Taubheitsgefühl (körperlich und emotional)
- "Pelziges" Körpergefühl / Kribbeln / Muskelzucken
- Angst davor, durchzudrehen
- Gefühl, die eigene Identität würde zerbrechen / sich auflösen
- unendliches Verlorenheitsgefühl
- unerträgliche Einsamkeit
- Angst vor Kontrollverlust 
- Erstickungsangst
- Gefühl, plötzlich würde die Seele "schwarz werden"
- extreme Müdigkeit 
- Verzweiflung
- körperliche Schmerzen / Gliederschmerzen 
- Muskelverspannungen
- seelischer Schmerz
- Schweißausbrüche
- Gefühl von extremer Schutzlosigkeit
- Suizidgedanken
- Gefühle von Sinnlosigkeit und Hoffnungslosigkeit
- drängende, quälende Gedanken von Schuld und Scham
- plötzlich auftauchende Bilder (blau anlaufen, erbrechen, zusammenbrechen, sterben, plötzlich hochgerissen werden) 
- "Körperbilder" (z.B. fühlt sich der Körper bei bestimmten Angstzuständen an, als würde man wie ein Säugling mit abgewinkelten Extremitäten auf dem Rücken liegen, dabei habe ich vornübergebeugt auf dem Fahrrad gesessen und bin "normal" gefahren. Häufig sind auch Angstzustände aufgetaucht, in denen ich das Gefühl hatte, der Körper würde in verschiedene Teile zerfallen. Das scheint meines Wissens nach ein sehr typisches Symptom bei frühkindlichen Traumata zu sein.) 

Diese Aufzählung kann je nach Art, Intensität und Lebensphase bei Erleben des Traumas sehr unterschiedlich ausfallen. Bei mir war das auslösende Ereignis ein frühkindliches Trauma mit einem oder mehreren Gewalterlebnissen und anschließender emotionaler Vernachlässigung.

Einige Symptome gehören meines Erachtens nicht zu den Intrusionen, sondern eher zu den "sekundären" Symptomen (dazu mehr in einem anderen Beitrag), deswegen zähle ich sie hier seperat auf:
zwanghafte Rituale (Versuche, die Kontrolle wiederzuerlangen oder die Gedanken "wegzuwaschen")
inneres Chaos
extreme Konzentrationsstörungen
das Gefühl, verrückt zu werden
Hyperarousal
Hypervigilanz
Schlaflosigkeit (meist in den ersten 6-8 Wochen, pro Nacht ungefähr 2-3 Stunden Schlaf)
deutliche Gewichtsabnahme 

Diese Gefühlszustände drücken sich zum Teil sehr stark in "Körperbildern" aus und ich denke, das ist auch einer der Gründe, warum traumatische Zustände körperlich so belastend sind. Es ist schon vorgekommen, dass ich nach einem langen Weinkrampf nur noch zwei Stunden an die Wand gestarrt habe, weil mein Kopf und mein Körper "leer" waren. Es war einfach keine Energie mehr übrig, etwas zu fühlen oder sich zu bewegen.
Eine zusätzliche Schwierigkeit bei der Bewältigung dieser Störung ist die Tatsache, dass immer wieder neue, veränderte Zustände auftauchen, auf die man sich "einstellen" muss. Man könnte auch sagen, es wird einem nie langweilig mit dieser Krankheit.

Für das soziale Umfeld ist es oft schwierig nachzuvollziehen, "warum" der Betroffene plötzlich so panische Angst hat und oft soziale Aktivitäten meidet. Ich habe mich auch oft gefragt, warum ich zum Beispiel in dem CD-Laden, wo so nette Leute arbeiten, immer wieder Angstattacken bekommen habe. Vielleicht hilft dieses Erklärungsmodell: der Erkrankte hat nicht Angst VOR der konkreten Situation, sondern die Ängste tauchen bei unterschiedlichen Gelegenheiten auf, weil irgendein Reiz die "alten", in der Kapsel "eingefrorenen" Angstgefühle aus der vergangenen traumatisierenden (und noch nicht verarbeiteten) Situation triggert. Diese fluten dann plötzlich heraus und können wirklich in jeder erdenklichen Situation (beim Sport, beim Entspannen auf der Couch, während des Einkaufens, beim Sex, während eines Wellnesstages,...) blitzartig auftauchen.
Und der daraus oft resultierende soziale Rückzug ist keine freiwillige (!) Entscheidung des Betroffenen (wie so oft bei seelischen Erkrankungen), sondern eher ein "Wollen-aber-nicht-Können" und ein Zeichen von Hilflosigkeit und Resignation. Aus eigener Erfahrung kann ich nur sagen, dass es extrem wichtig ist, diesen Umstand  seinen Freunden / Bekannten zu vermitteln, weil sonst relativ schnell Unverständnis aufkommt, warum man denn nicht zur Party oder zu spät zum gemeinsamen Essen gekommen ist.