07.12.2012

Symptome II

Was geschieht bei einem Flashback im Kopf des Betroffenen?
Man wird sehr plötzlich von heftigen Ängsten, sich aufdrängenden entsetzlichen Bildern und "Körperzuständen" heimgesucht. Diese können durch bestimmte Situationen und Reize getriggert werden. Ich habe festgestellt, dass bestimmte Situationen (z.B. eigentlich positive Erlebnisse, viele Menschen), akustische Reize (z.B. vorbeifahrende Güterzüge), Gerüche (z.B. Benzin), aber auch Temperaturwechsel, bestimmte Bewegungen, einige Gegenstände (z.B. Mülltonnen, Batterien) oder psychotrop wirksame Lebensmittel (Kaffee, Bier) diese Zustände auslösen können. Paradoxerweise drängen diese Ängste auch dann an die Oberfläche, wenn man sich eigentlich gerade in einer ruhigen Umgebung befindet. Die Annahme, dass man einfach mal zu Hause bleibt und dort Ruhe finden kann, trifft also nicht auf diese Art der Störung zu. In meiner Wohnung habe ich mit die schlimmsten Flashbacks erlebt.

Viele Zustände hören so plötzlich auf, wie sie beginnen, andere steigen im Körper auf und beenden sich durch kurzes Zucken oder Weinkrämpfe. Manche dauern nur zwei Sekunden, manche einen halben oder sogar ganzen Tag. Nun könnte man als Nichtbetroffener sagen, solche Gefühle kennt doch jeder mal, allerdings unterscheidet sich dieses traumatische fragmentarische Wiedererleben deutlich von "normalen" Ängsten und Gefühlszuständen: 
1) Sie kommen sehr plötzlich und intensiv und überschwemmen den Betroffenen. Sie sind nicht beherrschbar (z.B. durch ruhige Atmung), man kann sie nur vorüberziehen lassen. Es fühlt sich oft an wie ein Elektroschock oder eine Entladung.  
2) Sie "passen" oft nicht zur Situation. Zum Beispiel kann eine freundliche Frage plötzlich zu völlig paranoiden Zuständen führen. 
3) Sie haben ausnahmslos eine "traumatische Aura". Egal, ob ich Angst, plötzliche Erschöpfung oder körperliche Schmerzen erlebt habe, alle sind in einem atmosphärischen Zustand aufgetaucht, in dem "etwas nicht stimmt." (Was auch die Bezeichnung "Sturz aus der Normalität" gut erklärt. Man wird immer wieder aus seinem normalen Alltag "herausgerissen".) 
4) Alle hören nach einer Zeit wieder auf, entweder spontan, durch Muskelzucken oder Weinen. 
5) Die Gefühlszustände erscheinen vor Allem zu Beginn unerträglich und  unendlich. Man wird von dem Gefühl überschwemmt und befürchtet, daran zu zerbrechen, es nicht auszuhalten oder verrückt zu werden. Ich hatte auch oft den Eindruck, ich würde kollabieren, weil der Körper diese Belastung nicht aushält.
6) Viele Gefühle drängen sehr stark durch den Körper nach oben, "entladen" sich dann oft durch Bewegung oder Wechsel der Körperhaltung. Und sie verändern immer wieder unkontrollierbar ihr Thema.
7) Die Angstzustände kosten körperlich sehr viel Kraft und oft ist der Kopf danach "leer".
(Diese Aufzählung speist sich aus meiner eigenen Erfahrung und kann je nach Art des Traumas unterschiedlich ausfallen, zum Beispiel spielt selbstschädigendes Verhalten bei Missbrauchserfahrungen eine große Rolle.)

Symptome I

Während Menschen mit einer Depression oder einer neurotischen Störung meistens relativ "konstante" Symptome haben, zeigt sich die PTBS bzw. Traumafolgestörung in einem bunten Strauß von verschiedenen Zuständen, die plötzlich ohne Vorwarnung über einen hereinbrechen und in jeder Situation auftreten können. "Dazwischen" sind die Betroffenen oft fast symptomlos und je nachdem, welche Seite Freunde oder Bekannte häufig mitbekommen, unterschätzen sie den Schweregrad dieser Erkrankung.
Vielleicht entsteht auch der Eindruck, es würde sich nur um eine leichte Befindlichkeitsstörung handeln und erst eine Depression wäre eine "richtige Erkrankung". An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass mir so etwas in der Art auch schon unterstellt wurde. Mittlerweile ist mir einfach klar, dass diese komplexe Erkrankung eigentlich nur diejenigen nachvollziehen können, die sie ebenfalls erleben. Dieses plötzliche Auftauchen der Flashbacks, diese unendliche Heftigkeit und Unberechenbarkeit macht diese Krankheit so extrem schwierig. 
Ich war wegen dieser Symptome und der Überwachheit zu Beginn (6 Wochen lang 2-3 Stunden Schlaf pro Nacht und 7 kg Gewichtsverlust) und danach fast ein Jahr lang nicht in der Lage, Verabredungen, Termine oder Einladungen zu Partys zuverlässig wahrzunehmen bzw. an einigen Tagen überhaupt die Wohnung zu verlassen. Das Studium musste ich abbrechen, weil dieser "Terror im Kopf" es unmöglich machte, Seminararbeiten zu erstellen. (Interessant daran ist ja die Analogie zur Unfähigkeit von Traumatisierten, das Erlebte in Worte zu fassen.)
Die Intrusionen haben mich je nach Intensität so viel Energie gekostet, dass ich froh war, die 400 Meter bis zum Bäcker zu schaffen, um nicht zu verhungern. Ich glaube, diese Beschreibungen sprechen für sich und jeder, der behauptet, diese Symptome seien auf Selbstmitleid oder selbstgewählte "Reinsteigerungsorgien" zurückzuführen, ist entweder dumm oder einfach nur ignorant. 

Es kann Ihnen also als Freund / Bekannter passieren, dass Sie sich mit einem Erkrankten verabreden und er Ihnen munter zusagt, dann aber nicht pünktlich oder gar nicht kommen kann, weil ihn beim Verlassen der Wohnung ein so heftiger Flashback ereilt hat, dass er weinend zusammengebrochen ist. Es ist für Außenstehende schwer nachvollziehbar, dass diese entsetzliche Angst / Erstarrung / Lähmung nicht unbedingt direkt etwas mit dieser Situation zu tun hat, sondern ein Gefühl triggert, was dann aus dieser eingeschlossenen Kapsel, die die traumatischen Emotionen beherbergt, herausbricht. 

Suche nach Worten

"Komm, reiß Dich doch mal zusammen!" 
"Stell Dich nicht so an!"
"Andere haben auch Probleme!"

Würden diese Menschen, die so etwas sagen, einem Menschen, der im Rollstuhl sitzt, sagen, er solle doch einfach mal aufstehen und loslaufen? 

Wohl nicht. 


Die Diagnose PTBS wurde bei mir 2010 gestellt und ich möchte in diesem Weblog versuchen, dem "namenlosen Grauen" ein paar Worte entgegenzusetzen. 

Die Texte beschreiben eigene Erlebnisse, Gefühle und Gedanken, ergänzt durch Erkenntnisse aus dem therapeutischen Prozess. Sie können keine Therapie ersetzen, sondern sollen hier lediglich zum besseren Verständnis dieser Störung beitragen. Ich versuche so gut es geht, subjektive Interpretationen als solche zu kennzeichnen und auf wissenschaftliche Quellen - soweit mir bekannt und zugänglich - zu verweisen.