03.11.2013

Hitparade "gutgemeinter" Ratschläge

In der Selbsthilfegruppe kam die Idee auf, die besten "Ratschläge" - mehr oder weniger geduldig von der Umwelt an Menschen mit seelischen Störungen herangetragen - zu sammeln. Ja, sie sind zum Teil wirklich gut gemeint, aber zum Teil dienen sie auch nur dazu, den Ratgebenden zu "entlasten", nach dem Motto "Ich hab´s ihm / ihr ja gesagt. Wenn er / sie es nicht umsetzt, selber schuld!" Anstatt den Hilfsbedürftigen partiell zu entmündigen, wäre erstmal die Frage: "Was brauchst Du denn jetzt?" für viele Betroffene schon sehr erleichternd.

Hier also sind sie (Achtung, Sarkasmuswarnung!): 

Auf Platz 1, immer noch unangefochten: 
"Stell Dich nicht so an!" Gerne auch: "Reiß Dich doch mal zusammen!" (Klar, die Kliniken dieses Landes sind voll mit Leuten, die einfach faul sind und keinen Bock haben, rauszugehen, weil das Schwimmbecken so schön warm und das Essen so lecker ist! Lieber Leser, wie lange steht Dein Altglas schon in der Ecke und wie oft wolltest Du das nicht schon wegbringen? Wie sieht es denn aus mit Deinen guten Vorsätzen, sich doch endlich mal im Fitnessstudio anzumelden? Ist plötzlich alles doch nicht mehr so einfach? ;) Keine Sorge, Du bist nicht alleine.)

Dicht gefolgt von Platz 2: 
"Mach Dir doch nicht so viele Gedanken, dann geht´s Dir besser!" (Es soll ja Menschen geben, die klappen einfach ihr Gehirn auf, gehen zum Sicherungskasten, drücken den grünen und den roten Knopf und schweben dann glückselig davon.) 

Die Bronzemedaille geht an: 
"Das kann doch nicht sein." oder "Das glaub ich Dir nicht." Steigerungsform für Fortgeschrittene: "Du benutzt das als Ausrede / Entschuldigung, um nicht arbeiten zu gehen, usw." (Im Alltag wird die Formulierung, dass das doch nicht sein könne, eigentlich zu 90 % von Mitarbeitern der Serviceabteilung deutscher Elektronikgroßmärkte verwendet, um defekte Geräte nicht zurücknehmen zu müssen. Im Zusammenhang mit seelischen Störungen ist diese Formulierung aber besonders schmerzhaft, weil sie die Wahrnehmung des Gegenübers, der sowieso schon leidet, auch noch als "falsch" darstellt.
Um das Fass noch weiter aufzumachen, sei in diesem Zusammenhang auf das Thema "Gaslighting" hingewiesen, das sicher eine sehr drastische Form von destruktiver Kommunikation darstellt. Diese wird auch in mehr oder weniger drastischer Form von den Eltern traumatisierter Personen angewandt, um eventuelle Schuld und Verantwortung für das auslösende Ereignis erneut auf das Opfer abzuwälzen. "Du hast als Kind ja so wenig eingefordert." / "Du siehst das falsch / kannst Dich doch gar nicht erinnern." Ironischerweise legen sie damit genau das Verhalten an den Tag, welches das Trauma mitverursacht haben könnte und das sie so verzweifelt versuchen abzustreiten.)
Viele Menschen versuchen, möglichst schnell Unangenehmes abzuwehren und zu relativieren, weil sie sich nicht vorstellen können, was man bei einem "Sturz aus der Normalität" alles erlebt.

Nummer 4 der Hitparade: 
"Ängste hat doch jeder. / Niedergeschlagen ist doch jeder mal." (Diese Aussage ist ebenso richtig wie wenig hilfreich. Natürlich ist Angst ein Gefühl, dass wohl jeder mehr oder weniger kennt. Aber genau um "mehr oder weniger" geht es bei seelischen Störungen. Wenn man sich den kleinen Finger verstaucht, kann man noch Shoppen gehen. Mit einem gebrochenen Bein wird das schon schwieriger. Niemand sucht sich seine Störung aus, die Seele spielt einfach manchmal (mehr oder weniger heftig) nach eigenen Regeln.) 




... to be continued. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen